Völlegefühl, Blähungen, Bauchschmerzen, Übelkeit und wechselhafter Stuhlgang sind typische Symptome für einen Reizdarm. Ein großer Teil der Bevölkerung leidet unter diesen gesundheitlichen Einschränkungen. Unser Experte Dr. Maximilian Lange, Internist, Gastroenterologe aus Hamburg (Harvestehude), beantwortet zum Thema Reizdarm häufig gestellte Patientenfragen.
Der Reizdarm zählt zu den klassischen Volkskrankheiten und beschäftigt die Medizin schon seit etwa 100 Jahren. Bei einem Reizdarm handelt es sich um eine funktionelle Störung des Verdauungstraktes. Diese äußert sich auf unterschiedliche Weise.
Manche Menschen leiden bei einem Reizdarm unter chronischer Verstopfung und Völlegefühl, andere unter wechselhaftem Stuhlgang mit Bauchschmerzen und Unwohlsein. Wieder andere leiden unter allen Symptomen im Wechsel.
Die Beeinträchtigung des Darms ist keiner organischen Erkrankung zuzuordnen, jedoch sollte ein Reizdarm trotzdem ernst genommen werden, da er die Lebensqualität der betreffenden Menschen in aller Regel deutlich negativ beeinflusst und zu Folgeerkrankungen führen kann, wie z.B. Nahrungsmittelunverträglichkeiten und –allergien, Infektanfälligkeit und andere.
Waren die Ursachen lange Zeit unklar und auf psychosomatische Faktoren reduziert, so bringen neuere Forschungsergebnisse bei der Diagnose von Reizdarm mehr Licht ins Dunkle.
Eine gesunde Darmflora, bei der gute und schlechte Bakterien in einem gesunden Verhältnis vorhanden sind, ist die Grundvoraussetzung für eine normale Funktion des Verdauungstraktes. Wenn die Darmflora jedoch nicht mehr dem normalen Verhältnis entspricht, so begünstigt sie einen Reizdarm.
Infektionen des Magen-Darm-Traktes, insbesondere durch Campylobakter-Bakterien (Durchfall), können für die Entstehung eines Reizdarms verantwortlich sein. Bestimmte Medikamente wirken sich sehr negativ auf die Darmflora aus, allen voran die Antibiotika. Die Ernährung hat einen sehr wesentlichen Einfluss – es wächst, was man füttert. Aber auch der psychosomatische Aspekt ist nicht zu unterschätzen: Stress, innere Unruhe bis hin zu depressiven Verstimmungen tragen zur Entstehung eines Reizdarms bei. Umgekehrt trägt eine ausgeglichene Darmflora zu einer verbesserten Stressresistenz bei.
Ein Reizdarm wird in der Regel dann diagnostiziert, wenn organisch sichtbare Ursachen durch Magenspiegelung, Darmspiegelung und Ultraschall ausgeschlossen wurden. Es ist also eine Ausschlussdiagnose und kein direkter Nachweis. Da ein Reizdarm aber in der Regel mit einer gestörten Darmflora einhergeht, kann eine Stuhluntersuchung auf die gute und schlechte Bakterienflora, Darmpilze und einige andere Parameter sinnvoll sein. Hat man den Eindruck, dass sich die Beschwerden nach Aufnahme von Nahrungsmitteln verschlimmern, so sollten auch Untersuchungen auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten erfolgen.
„Nahrungsmittelunverträglichkeit“ ist ein Überbegriff für unterschiedliche Arten von Intoleranzen. Dazu zählen nicht nur die bereits recht bekannte Laktoseintoleranz und die Fruktosemalabsorption, sondern auch die Histaminintoleranz, die Nahrungsmittelallergien vom Soforttyp und vom verzögerten Typ, sowie die Zöliakie und die Unverträglichkeit von Süßstoffen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass jede Art der Unverträglichkeit einer eigenen Untersuchung bedarf, wobei eine gute Anamnese schon Hinweise geben kann.
Die wichtigste Maßnahme ist die Wiederansiedelung einer natürlichen und gesunden Darmflora, sowie das Wiederherstellens eines Milieus, in dem sich die Bakterien auch wohlfühlen. Dies geschieht durch die Gabe spezifischer Darmpräparate, wie Probiotika (Darmbakterienpräparate), Präbiotika (Futter für die guten Darmbakterien) Regulierung des pH-Wertes, entzündungshemmende Medikamente und Medikamente auf pflanzlicher Basis.
Selbstverständlich spielt auch die Ernährung eine große Rolle. Sollten bereits Nahrungsmittelunverträglichkeiten bestehen, müssen diese für einen gewissen Zeitraum gemieden werden, da sie die Darmschleimhaut zusätzlich reizen. Ballaststoffreiche und vitalstoffreiche unterstützen den Darm wieder ins Gleichgewicht zu kommen und dem Reizdarm zu Leibe rücken. Ein weiterer therapeutischer Ansatz ist auch das Essverhalten. Es sollte darauf verzichtet werden, zu große Portionen, insbesondere in den Abendstunden, zu verzehren. Auch das gute Durchkauen der Nahrung trägt zur Besserung bei, da der Darm selber weniger Verdauungsarbeit leisten muss.
Nicht zuletzt ist es wichtig, dafür zu sorgen, dass sich die jeweiligen Lebensumstände ändern, was bedeutet, dass durch eine gute Zeitplanung Stress, Ärger und Irritationen auf ein erträgliches Maß reduziert oder besser ganz vermieden werden.
Wie schon erwähnt, fällt die Diagnose Reizdarm erst nach Ausschluss aller anderen Erkrankungen mit verwandten Symptomen. Nach aktuellem, medizinischen Erkenntnisstand ist gilt der Reizdarm als eher ungefährlich, da eine offensichtliche Organbeteiligung nicht erkennbar ist. Trotzdem ist es ein ernstzunehmendes Krankheitsbild, denn die Menschen mit dieser Diagnose haben oft einen erheblichen Leidensdruck. Vermeintlich nur lästige Symptome wie Bauchschmerzen aufgrund gedehnter Darmwände infolge von erhöhter Gasbildung, Völlegefühl, Übelkeit, Durchfall führen oft zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität bis hin zu Zuständen mit echtem Krankheitswert.
Bei länger bestehender Veränderung der Darmflora und einer Milieuveränderung besteht auf lange Sicht die Gefahr, dass sich die Beschwerden verlagern und weitere Krankheitsbilder entstehen. So produzieren manche schädlichen Bakterien toxische Stoffe, die wiederum die Galle, die Bauchspeicheldrüse, die Leber und sogar das Gehirn angreifen können.
Deshalb sollte man einen Reizdarm nicht auf die leichte Schulter nehmen und einem therapeutischen Fahrplan, der sowohl die Ernährung, den Lebenswandel und die individuellen Lebensumstände berücksichtigt, Folge leisten. Einfache Hausmittel sowie auch pharmakologische Präparate sollten ebenfalls Bestandteile der Therapie sein.
Rein theoretisch kann jeder Mensch im Laufe seines Lebens unter einem Reizdarm leiden. Allein in Deutschland sind es nach aktuellen Studien gute 10-15 Prozent der Bevölkerung, also rund 15 Millionen Menschen! Man geht sogar davon aus, dass die Dunkelziffer bei 40% liegt. Dabei spielt es keine Rolle, aus welcher gesellschaftlichen Schicht Betroffene kommen.
Bei wiederkehrenden und erst recht bei anhaltenden Beschwerden aller Art, die sich auf den Bauchraum erstrecken, sollte ein Arzt konsultiert werden. Es kommt dabei sehr darauf an, den Arztbesuch nicht zu lange hinaus zu schieben, weil man etwa auf eine Selbstheilung hofft. Schließlich gilt es, Erkrankungen in einem Frühstadium zu entdecken und zu behandeln. Wenn bei den Untersuchungen andere organische Erkrankungen ausgeschlossen werden können und ein Reizdarm diagnostiziert wird, so ist auch hier ein unbedingter Handlungsbedarf.
Folgeerkrankungen durch eine Verschleppung des Reizdarms sollten verhindert werden und die oft herabgesetzte Lebensqualität bei Patienten mit Reizdarm wieder hergestellt werden.
Fazit:
Achten Sie auf eine gesunde Verdauung und ein Wohlgefühl im Bauch, denn viele Erkrankungen hängen direkt oder indirekt mit einem geschädigten Darm zusammen. Schon Sokrates erkannte: „Der Tod sitzt im Darm“ oder positiv ausgedrückt: „Eine gute Gesundheit beginnt mit einem intakten Darmsystem“.
Die Experten-Sprechstunde dient nur der allgemeinen Information, nicht der Selbstdiagnose und ersetzt eine Behandlung weder medizinisch noch rechtlich. Die Antworten spiegeln die Meinung des Autors wider und nicht die der Betreiber von www.pluspatient.de
Internist, GastroenterologeDr. Maximilian Lange
Innere Medizin und Gastroenterologie
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